Aus Sand und Stein wird Leben

Aus Sand und Stein wird Leben

Im Frühling 2022 legte die AG Klima im Innenhof der KSK erneut Hand an. Aus dem kaum genutzten Steingarten wurde ein Lebensraum für bodennistende Insekten. Auch auf den Kiesflächen und vor dem Zimmer B17 helfen getroffene Massnahmen, die Biodiversität hochzuhalten.

Der neue Lebensraum im Bereich des ehemaligen Steingartens. (Corina Tobler)

Sibylle Engeler

Im Jahr 2017 sorgte die sogenannte Krefeldstudie für ein weltweites Medienecho. Verschiedene Zeitungen und Journale berichteten über die Studie mit teils dramatischen Titeln wie «Die deutschen Amateure, die den Untergang der Insekten entdeckten» (New York Times) oder «Ökologisches Armageddon» (The Guardian). National Geographic fragte sogar: «Wo sind die ganzen Insekten hin?».

Die berühmte Studie untersuchte die Biomasse der flugaktiven Insekten über einen Zeitraum von 27 Jahren und bemerkte in allen untersuchten Lebensräumen und während der ganzen Vegetationszeit einen drastischen Rückgang von 76.7 %. Im Hochsommer lag der Rückgang durchschnittlich sogar bei 81.6 %. Die Autoren schlussfolgerten, dass in der intensiven, ganzjährigen Landwirtschaft, in der immer noch viele Pestizide und Dünger eingesetzt werden, sowie im Verlust der Vielfalt der Landschaft mit versiegelten Böden und «aufgeräumten» Gärten wichtige Ursachen für das Insektensterben liegen könnten. Aus diesen Prozessen resultieren nämlich ein knappes Nahrungsangebot und wenige Nistmöglichkeiten für die Insekten.

Ökosystem braucht Insekten

Eine Reduktion der Anzahl Insekten könnten einige Menschen als angenehm empfinden, da sie diese als lästig oder teilweise gefährlich empfinden. Allerdings hat das Verschwinden von Insekten grosse Auswirkungen auf das Ökosystem. Insekten leisten wichtige Funktionen in der Umwelt wie die Bestäubung oder den Abbau von organischem Material und sie sind eine wichtige Nahrungsgrundlage für eine Vielzahl von Tieren.

In der Schweiz leben mehrere hundert Wildbienenarten, wovon fast die Hälfte als bedroht gilt. Ein Grossteil der einheimischen Wildbienen legt ihre Nester in selbstgegrabenen Gängen im Erdboden an oder sie sind als Brutparasiten abhängig von bodennistenden Wirtsarten. Sie brauchen dafür meistens offene, unbewachsene Sand- oder Lehmflächen, steile Böschungen oder wenig bewachsene Wege. Leider finden sich solche Strukturen immer seltener, da sie oft als unsauber oder ungepflegt angesehen werden.

Raum für Bodennister geschaffen

Auf dem Schulhof der Kantonsschule Kreuzlingen werden Pflanzen hingegen nur noch entlang der Gebäude entfernt, der Rest wird der Natur überlassen: Mit Ausnahme von Neophyten sind Pflanzen auf der Kiesfläche sehr willkommen. Einerseits sorgen sie dafür, dass sich der Boden in den heissen Sommermonaten nicht so stark aufheizt, und andererseits bieten sie wertvollen Nektar für viele Wildbienen und Schmetterlinge. Sitzt man im Frühling mal ruhig auf einem der Steinquader oder in den erst Anfang Juli gemähten Wiesen, kann man die fleissigen Besucherinnen weder übersehen noch überhören.

In einem ehemaligen Steingarten im Südwesten des Schulhofes entstanden im Frühling 2022, unter Anleitung des Wildbienenexperten Felix Fornoff aus Freiburg, zwei Sandbecken für bodennistende Bienen. Sie weisen eine Tiefe von über 40 cm auf, da manche Wildbienen ein Gangsystem von mehreren Dutzend Zentimetern graben. Häufige bodennistende Gattungen sind zum Beispiel Sandbiene, Langhornbiene, Seidenbiene, Furchenbiene und Schmalbiene. Anfang April 2023 konnten bereits einige Frühlingsseidenbienen im Sand beobachtet werden.

Eine Frühlingsseidenbiene vor dem A-Gebäude. (Sibylle Engeler)

Trockenmauer bietet Lebensraum

Die im ehemaligen Steingarten vorhandenen Steine wurden von tüchtigen Mitgliedern der AG Klima an einem unterrichtsfreien Tag zur Begrenzung der Sandbecken zu Trockensteinmauern umgeschichtet. Trockenmauern bieten eine Fülle von verschiedenen Lebensräumen an. Heisse und kalte, trockene und feuchte, schattige und besonnte Plätze liegen auf engstem Raum beieinander. Viele Insekten, Spinnen, Schnecken, Reptilien, Amphibien und kleine Säugetiere finden im Spaltensystem einer Trockenmauer ideale Rückzugs-, Jagd- und Überwinterungsmöglichkeiten. In der Natur finden sich solche Lebensräume im Bereich von Abbruchkanten an Gewässern oder Hängen. Trockenmauern werden schon seit Jahrhunderten von Menschen erstellt, werden aber leider immer mehr durch Betonmauern ersetzt, in welchen diese wertvollen Lebensräume nicht mehr zu finden sind.

Der Baumstamm wird im Laufe der Zeit vermodern. (Corina Tobler)

Auch ein Baumstamm kam zur Abgrenzung der Sandbecken zum Einsatz. Es wird spannend sein, die Lebewesen zu beobachten, welche ihren Beitrag zum Vermodern des Stammes leisten. Da der ehemalige Steingarten bereits Lebensraum für viele Pflanzen und auch Überwinterungsmöglichkeiten für Molche bot, blieb ein Teil bestehen, wurde aber mit Büschen wie Schwarzdorn und Berberitze ergänzend bepflanzt, welche diversen Tierarten Nahrung und Schutz bieten. Glockenblumen und Königskerzen konnten sich schon ansiedeln, dazu Natternköpfe, welche einer Grosszahl von spezialisierten (oligolektischen) und sehr vielen unspezialisierten (polylektischen) Wildbienenarten als Nahrung dienen.

Hecke soll vor B-Gebäude wachsen

Der Bereich im Westen des Schulgeländes, gleich neben dem Obstgarten, ist mit Brennnessel, Pfefferminze und Gras überwachsen. Brennnesseln sind wichtige Futterpflanzen für Schmetterlinge wie Admiral, Kleiner Fuchs, Tagpfauenauge und viele mehr. Zudem eignet sich Brennnesseljauche vorzüglich als Dünger und als biologisches Spritzmittel gegen Läuse. Hier wurden zusätzlich Büsche gepflanzt. Schwarzdorn, Pfaffenhütchen, Holunder und Kornelkirsche bieten Nahrung und Rückzugsorte für Insekten und Vögel und werden hoffentlich in einigen Jahren zu einer schönen Hecke zusammengewachsen sein.

Anfänge der Hecke vor dem Zimmer B17. (Corina Tobler)

Ein breites Angebot an Lebensräumen gerade auch in Siedlungsgebieten ist für den Erhalt der Biodiversität extrem wichtig, um die Lebensräume der Natur miteinander zu vernetzen. Schon kleine unstrukturierte und wenig bewirtschaftete Flächen in überbauten Quartieren und Dörfern, aber auch auf dem Land neben bewirtschafteten Feldern, wo einheimische Pflanzen wachsen und einheimische Insekten nisten dürfen, sind sehr wertvoll. So kann beispielsweise ein Genaustausch zwischen einem Feld in Bottighofen und einem in Tägerwilen gewährleistet werden. Kommt es in einem Lebensraum zu einem lokalen Artensterben, wird durch Vernetzungsflächen und -Korridore das Wiedereinwandern von Arten ermöglicht.

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